Im Jahr 1954 gründete Kurt Becker den Bürgstadter Knabenchor, der später in „Singvögel vom Untermain“ umbenannt wurde.
Kurt Becker, der 1954 gerade erst als Lehrer an die Volksschule Bürgstadt versetzt worden war, wohnte einem Gottesdienst in der alten Pfarrkirche Sankt Margareta bei und als er den Kindern beim Singen zuhörte, kam ihm die Idee, einen Chor zu gründen.

Allzu ernst wurde er dabei laut eigenen Aussagen zu Beginn wohl nicht genommen, dennoch überließ ihm der damalige Rektor Ullrich einen Klassenraum der alten Volksschule Bürgstadt zum Proben. Die Proben fanden dienstags und freitags ab 17 Uhr statt. Die Sänger der ersten Generation stammten alle aus Bürgstadt. Erst später wurden auch Sänger aus Miltenberg oder aus dem Umland bis zu 10 Kilometern im Chor aufgenommen. Die Kinder sollten musikalisch sein. Sie wurden in Gesang ausgebildet und besonders Begabte bekamen Einzelförderung.

Bereits nach einem Jahr fand das erste öffentliche weihnachtliche Konzert statt.

Der Bote vom Untermain schrieb damals: „Die Knaben zeigten, dass sie dynamische Feinheiten diszipliniert und gekonnt erfassen. Es wurde frisch und freudig, jedoch lebendig weich gesungen. Die Soprane besitzen eine anerkennenswerte Reife. Die Bürgstadter Sängerknaben können sich überall hören und sehen lassen. Die wertvolle Liedauswahl spricht ebenfalls für die tüchtige Sängerschar.“
Und das Aschaffenburger Volksblatt schrieb im gleichen Jahr: „ Der Landkreis Miltenberg darf sich glücklich schätzen, im Bürgstadter Knabenchor eine musikalische Knabenschar zu besitzen, die von Fachleuten in einer Reihe auswärtiger Konzerte bestens bewertet wird.“
Von da an wurde der Chor eingeladen, größere und repräsentative Feierstunden musikalisch auszugestalten und auch abendfüllende Konzerte zu geben. Ebenso nahm der Chor an Wertungs- und Landesjugendsingen teil.


Das Repertoire des Chores reichte vom einfachen Volkslied über anspruchsvolle Weisen aus Oper und Konzert, Kirchenliedsätze, Werke aus klassischen Messen und Oratorien sowie Lieder der Gegenwart bis hin zum Schlager.


Auch Singspiele gehörten zum Repertoire der Singvögel.

Die Singvögel hatten eine feste Chorkleidung. Ursprünglich trugen sie bei den Auftritten kurze Lederhosen und weiße Hemden.



Später waren kurze schwarze Stoffhosen und hellblaue Hemden angesagt.

Kurt Becker war sich von Anfang an darüber im Klaren gewesen, dass er mit Chorgesang alleine keine Jungenschar auf Dauer binden konnte. Und so kam ein pfadfinderischer Aspekt hinzu. Der Stamm der „Singvögel vom Untermain“ steht auf pfadfinderischen Grundsätzen.

Jedes Jahr im Februar und September wurden neue Singvögel angeworben. Die Neulinge konnten sechs Wochen an den Proben teilnehmen und durften sich anschließend entscheiden, ob sie dem Chor beitreten. Sie erhielten dann ein Chorwappen, ein Halstuch und einen Halstuch-Lederknoten. Die restliche Ausstattung musste von den Eltern übernommen werden.
Aus der Satzung:
Der Knabenchor ist ein Oberchor mit vier gleichen Stimmen. demgemäß unterteilt er sich in:
Lerchen Sopran I, Finken Sopran II, Amseln Alt I, Spechte Alt II
Als Übergangsstimme ergeben sich gelegentlich die Pirole, Sänger im Baritonbereich.
Die Sänger wurden in Stimmgruppen aufgeteilt. Auf diesem Wege bilden sich Stimmgruppengemeinschaften oder Singvogelnester: Lerchennest, Finkennest, Amselnest, Spechtnest und Pirolnest. Jedes Nest wird von einem Nestführer geleitet. Der bemüht sich um gute Nestwärme, d. h. um Ordnung und Verträglichkeit und ein Betragen, das die Chorarbeit fördert. Er trägt Meinungen, Anregungen, Erfahrungen und Vorschläge seiner Nestjungen dem Rat des Stammes vor. Die beiden Soprannester und die beiden Altnester sind jeweils zu einem Vogelzug vereint, denen je ein Zugführer mit gleichen Aufgaben vorsteht. Um eine frohe und gedeihliche Zusammenarbeit in der gesamten Singvögelgemeinschaft stehen zwei Stammführer den Zug- und Nestführern zur Seite. Die Buben wählten also ihre Führer und Leiter selbst.
Jeder Singvogel durchlief einen vierstufigen Werdegang. Ersichtlich ist das an den Ehrenzeichen an der Chor- und/oder Fahrtentracht.

In einer späteren Fassung der Gemeinschaftssatzung betrug das Mindestalter des Zugführers 14 Jahre, das Mindestalter des Stammführers II 15 Jahre und das Mindestalter des Stammführers I 16 Jahre.
Stammführer, Zugführer und Nestführer bildeten unter Vorsitz des ältesten Führers den „Rat des Stammes“.



Im 5. Jahr des Bestehens der Chorgemeinschaft erhielt der Wimpel seine Weihe.


Bestickt wurden die Wimpel üblicherweise von den Klosterschwestern des Ordens der „Schwestern des Erlösers“, die in Bürgstadt bis zum 9. August 1992 im Schwesternhaus am Kindergarten wohnten.



Die Aufnahme der neuen Singvögel in die Gemeinschaft erfolgte nach festgelegten Ritualen.


Die Nestführer und Zugführer wurden ebenfalls feierlich in ihr Amt eingeführt.

Das oberste Amt hatten die Stammführer inne. Auch sie wurden feierlich in ihre Aufgabe eingeführt.


Neben dem Chorgesang betätigten sich die Singvögel auch sportlich und es wurden regelmäßig Radwanderungen und Zeltlager durchgeführt.
Einer hatte wirklich großes Pech. Arnulf Brand berichtet:
„Ich denke ich bin zur Zeit der älteste Singvogel, geboren bin ich am 12. April 1940. Meine Laufbahn bei den Singvögeln war ziemlich kurz aber intensiv.
Zum Knabenchor (so nannten wir uns damals) kam ich auf Anweisung meines damaligen Klassenlehrers Herrn Ullrich, mit den Worten „Brand du bist ein guter Musiker (ich war damals schon als Fanfare-Bläser im ehemaligen Spielmannszug des TV Bürgstadt) und gut singen kannst du auch, deshalb gehst du heute Mittag in den Klassenraum von Fräulein Böhm, da will der Lehrer Becker einen Knabenchor gründen“. Ich wurde gar nicht gefragt ob ich möchte, das wurde einfach so bestimmt.
Bei den sogenannten ersten Stimmproben stellte Herr Becker fest, dass ich eine gute Sopranstimme besaß und so wurde ich gemeinsam mit meinem Sangesbruder Reiner zum Sopransolisten ausgebildet. Da wir zu Hause ein Klavier hatten, bekamen wir von Herrn Becker zusätzlich Gesangsunterricht. Mein erstes und letztes Solostück war „Schlafe mein Prinzchen schlaf ein“, das ich dann bei irgendeiner Veranstaltung singen durfte.
Im Sommer 1954 fuhren wir mit Herrn Becker und einigen Sängerknaben mit den Fahrrädern Richtung Heimbuchental auf Zeltplatzsuche für unser erstes gemeinsames Zeltlager. Schließlich sind wir in Eschau fündig geworden.
Da ich, wie schon erwähnt, Fanfarenbläser war, wurde ich von Herrn Becker sogleich dazu verdonnert frühmorgens zum Wecken und abends zum Zapfenstreich zu blasen.
Leider blieb das für mich ein Traum, denn acht Tage bevor es ins Zeltlager ging, bekam ich von meinem zukünftigen Lehrherrn den Bescheid, dass ich meine Lehrstelle antreten müsste.
Da half alles Bitten und Betteln, den Lehrstellenantritt um vier Wochen zu verschieben, nichts. Meine Mutter war der Meinung, dass ich froh sein solle eine Ausbildungsstelle zu haben und dass der Beruf wichtiger sei als das Zeltlager.
So fuhren die Sängerknaben in ihr erstes Zeltlager und ich zur Arbeit.
Durch meine Arbeit konnte ich natürlich auch keine Probenbesuche mehr wahrnehmen, dann kam noch der Stimmbruch hinzu und so war meine Gesangskarriere vorerst beendet.
Einmal wurde ich noch von Herrn Becker angesprochen für den Knabenchor einen Wimpel für die Singvögel zu entwerfen und zwar mit einer Notenzeile und einem Violinschlüssel. Auf den Notenlinien waren anstelle von Noten Vögel in verschiedenen Tonhöhen gesessen. Dieser Entwurf wurde nie verwendet und ging irgendwann verloren.
Für mich war Herr Becker ein guter Lehrmeister was das Singen anbetraf, bezüglich Disziplin und Gehorsam konnte er aber auch sehr streng sein.
Das Singen hat mich in meinem bisherigen Leben, dank Herrn Becker, sehr geprägt. Er hat mich in späteren Jahren nie beim Namen genannt, sondern nur immer mit „mein erster Sopransolist“ begrüßt.
Nach meinem Wegzug nach Meerbusch habe ich etliche Jahre in einem Düsseldorfer Männerchor gesungen und nach meiner Rückkehr nach Bürgstadt bin ich im Männerchor Rüdenau gelandet, wo ich heute noch singe und als Vorstand tätig bin.
Durch das Singen kam ich bei vielen Konzertreisen in viele Länder und konnte bei etlichen Rundfunk-und Schallplattenaufnahmen sowie bei Fernsehauftritten mitwirken.
„So schön und erlebnisreich kann Singen sein!“

Im Sommer fanden die alljährlichen Zeltlager in der näheren Umgebung statt. Dabei konnte man eine Menge lernen, zum Beispiel wie man bei nassem Wetter mit einem einzigen Streichholz ein Feuer machen kann und vieles mehr.

Auch wurde in der Lagerküche das Kochen gelernt. Hier der Bericht eines ehemaligen Singvogels:
„Es gab Gulasch mit Nudeln beim Zeltlager. Zwei Mann hoben den großen Topf vom Feuerrost. Dabei kippte er um, und das Gulasch verteilte sich im und um das Feuer. Lehrer Becker schwoll die Zornesader. Er ordnete an: „Einsammeln!“. Zum Mittagessen gab es: Gulasch mit Nudeln und Waldboden.“

Es wurde natürlich auch viel Unfug getrieben. Werner Beddrichs Bericht zum aktuellen Ereignis:
„Von folgendem Ereignis erfuhr Lehrer Becker nie etwas: Bogenschießen war beim Zeltlager ein beliebter Sport. Als er einmal nicht da war, saßen ein paar von uns am Hang am Bach. Einer (der Name ist dem Verfasser dieser Geschichte bekannt) spielte mit Pfeil und Bogen. Er sagte zu jemandem, der heute leider nicht mehr lebt: „Ich schieß jetzt den Pfeil aus kurzer Entfernung an deinem Bein vorbei! Wenn du dich traust, das Bein ruhig zu halten.“ Er schoss. Und der Pfeil steckte im Oberschenkel des anderen. Der schrie furchtbar. Wir entfernten den Pfeil und verbanden den armen Kerl. Dann sagte der Unglücksschütze: „Wehe, du sagst das dem Becker!“ Er verriet nichts. So funktioniert Beichtgeheimnis.“
Ein besonderes Highligt der alljährlichen Zeltlager waren die gefürchteten Überfälle bei denen man seinen Mut beweisen musste. Norbert Reichert erzählt:
Überfall auf der Märchenwiese
„Ich gehörte damals zu den Jüngsten im Knabenchor und wir durften zum ersten Mal mit auf Zeltlager nach Mönchberg auf die Märchenwiese. Wir Kleinen durften in der etwas oberhalb stehenden Blockhütte schlafen, und Egbert und ich breiteten das Stroh aus und machten daraus ein „komfortables“ Nachtlager, während ein Paar Stufen tiefer die Zelte auf der Wiese rund ums Lagerfeuer aufgebaut wurden. Es gab auch ein kleineres Zelt für die Essensvorräte.
Auch ein Aussichtsturm wurde gebaut, auf dem ganz weit oben unser Wimpel flatterte. Von da oben konnte man auch weiter unten, am Ende der Wiese, ein kleines Bächlein sehen, in dem wir Wasser zum Kochen holen konnten oder uns am frühen Morgen waschen und Zähne putzen mussten. Da fällt mir ein, dass mein Namenskollege Norbert, der später dann Pfarrer wurde, damals den Spitznamen: „Blendi“ erhielt, weil er noch die etwas süßlich schmeckende Kinder-Zahncreme von Blendax benutzte.
Wir hatten in der ersten Woche schon recht viel Interessantes gelernt: zum Beispiel wie man eine Wanderkarte mit dem Kompass einnorden muss, um sie benutzen zu können; oder wie man mit nur einem einzigen Streichholz auch bei nassem Wetter ein Feuer machen kann, wenn es nur irgendwo einen Birkenbaum in der Umgebung gibt, dem man die Haut abziehen kann, die auch in nassem Zustand wie Zunder brennt.
Interessant war auch die Erkenntnis, dass man bei Nacht ohne Taschenlampe besser sehen kann, wenn sich die Augen erst mal daran gewöhnt haben.
Ja, wir hatten schon einige Nachtwanderungen hinter uns und auch die große Mutprobe bestanden, bei der jeder ganz alleine und ohne Taschenlampe eine bestimmte Strecke durch den dunklen Wald gehen musste – immer im Abstand von ca. 5 Minuten zum Vordermann. Um mir Mut zu machen, habe ich leise ein wenig vor mich hingepfiffen und wurde immer schneller, bis ich die weißen Turnschuhe meines Vordermanns sehen konnte.
Einige Tage danach: Wir waren nach der gemütlichen Lagerfeuerrunde mit Tee und schönen Liedern endlich müde in unsere Schlafsäcke gekrabbelt und auch bald darauf fest eingeschlafen.
Plötzlich schüttelte uns jemand aus dem Tiefschlaf: Pssssst! Pssst! Alarm! Pssst!
Aufstehn! Alles raus! Pssst-seid leise!
Fröstelnd krochen wir aus den warmen Schlafsäcken, verließen das Blockhaus und schlichen gebückt den anderen im Gänsemarsch hinterher. Dicht an eine Mauer angelehnt kauerten wir und sollten still warten, bis die Angreifer zu sehen wären. Wir starrten gespannt in die Dunkelheit, vom Lagerfeuer war nur noch eine kleine Glut übrig – sonst sahen wir nichts.
Da!! Kommen da nicht so gebückte dunkle Gestalten vom Bach aus auf uns zu? Jetzt wieder einer!! Alles war mucksmäuschenstill. Nur das Herzklopfen und der eigene Atem waren zu hören.
Was war das?? Irgendetwas juckte mich! Ich begann zu kratzen, aber es wurde immer schlimmer. Irgendetwas kroch mir durch die Hosenbeine, am Hals und die Arme hinauf – AMEISEN!
Ich sprang auf, schlug mir auf die Arme und Beine und rannte zurück um die Biester abzuklopfen!
Gleichzeitig ertönte eine Handsirene und der Überfall begann! Ältere Jungen aus dem Chor: der lange Ludwig, Winfried, Arnulf oder vielleicht waren es auch andere (das weiß ich nicht mehr genau), stürmten vom Bach aus den Hang herauf und begannen mit uns zu raufen.
Besonders hatten sie es jedoch auf Lehrer Becker abgesehen, der sich mutig und tapfer bei der Balgerei beteiligte, bis einer stolz seine Armprothese als Trophäe schwenkte. Während ein anderer versuchte auf den Turm zu klettern, um den Wimpel zu stehlen. Der war jedoch, wie jeden Abend, vorausschauend im Vorratszelt gut versteckt worden.
Ich war noch immer etwas mit meinen Ameisen beschäftigt und beobachtete dabei aus sicherem Abstand das Geschehen.
Der Kampf war jetzt beendet. Das Lagerfeuer wurde neu entfacht und ein Kessel Tee gekocht.
Gemeinsam saßen wir dann alle friedlich vereint noch eine Zeit lang um das Feuer, tranken heißen Tee und nach einem gemeinsamen Lied zogen die Angreifer wieder ab und wir konnten endlich in unser Nest und unseren Schlaf fortsetzen.„
Die Radwanderungen in den ersten Jahren hatten ihre Grenzen im Umkreis von 50 bis 100 km.

Werners authentischer Bericht von einer Radtour:
„Meine erste Radtour mit Herrn Becker und ein paar „Sängern“ führte uns nach Rothenfels am Main. Lehrer Becker ordnete an: „Wir ziehen bei der Fahrt unsere Lederhosen an!“ Meine Oma ordnete an: „Es iss zu kalt! Keine Lederhose! Sondern die Knickerbocker aus Cord wird angezogen!“ Ich war also der Einzige, der keine Lederhose an hatte. Das hatte Folgen. Wenn wir Rast machten, durften sich außer mir alle hinsetzen. Mir verbot es der Lehrer Becker. Begründung: „Du holst Dir den Wolf, wenn du dich mit einer Stoffhose auf die Steine, den Boden oder sonst irgendwohin setzt. Das dürfen nur die, die eine Lederhose anhaben!“ Alle anderen konnten sich beim Rasten setzen. Einer stand.“
Große Aufregung gab es beim Zeltlager an der Geyersmühle. Willibald Schmalbach erinnert sich:
Wie immer war Wache bis 24:00 gestellt. Es war die ganze Zeit Ruhe. Beim Aufstehen am nächsten Tag fehlten aus dem zweiten Mannschaftszelt zwei Leute. Die zwei Mitbewohner wussten von nichts. Etwa um 10:00 Uhr kamen zwei Abgesandte, die behaupteten von der KJG Aschaffenburg zu sein, unsere Fehlenden in ihrer Gewalt zu haben und forderten Lösegeld . Lehrer Becker fragte nach dem Namen ihres Führers. Es war Roland Breitenbach (der spätere Pfarrer Roland Breitenbach). In strengem Ton sagte Herr Becker, dass es wir dankbar für jeden Überfall wären, aber zu üblichen Zeiten. Wir hätten bis 24:00 Uhr Wache gestanden, also muss der Diebstahl später gewesen sein und das sei außerhalb jeder Norm. Deshalb forderte er sofortige Rückgabe der Beiden ohne Lösegeld, sonst würde er die Polizei einschalten. Es dauerte nicht lange, da waren die Verschollenen zurück – ohne zu wissen, was geschehen war.
Weitere Erinnerung Willibalds an misslungene Überfalle auf das Zeltlager in Rippberg und an der Linkenmühle
Eines Nachts, die Wache war gerade eingezogen, hörte man ein Rascheln. Ohne sich bemerkbar zu machen, lauschte man nach draußen und bemerkte, dass jemand auf den Baum stieg, um an den Anfang des Seiles zu gelangen, an dem der Wimpel hing. Man grinste und ließ den Übeltäter gewähren. Der verschwand so still, wie er gekommen war. Schnell stellte sich heraus, dass es der ehemalige Sänger Jochen S. war, der den Wimpel, der keiner war, stahl. Schneider Eck hatte uns nämlich einen Pseudowimpel genäht und der wurde nachts, fest verknotet, aufgehängt. Jochen ließ sich nie mehr blicken, nachdem er zuhause den Irrtum bemerkt hatte.
Auch an der Linkenmühle kamen Rippberger Jungs um uns zu überfallen. Als sie durch den flachen Bach waten wollten, um an unser Ufer zu gelangen, stürzten sie in unser aufgestautes Becken und waren klatschnass. Das blieb natürlich nicht unbemerkt von der Wache, die sofort Alarm mit der Handsirene schlug. So wurden die Übeltäter geschnappt und ans Lagerfeuer geführt. Dort durften sie ihre Kleider trocknen, während wir mit Liedern und Tee unseren Sieg feierten.
Spannend waren natürlich auch die Überfälle, die auf andere Lager erfolgten:
Ich hatte die Führung vom zweiten bis zum letzten Wettbewerb. Zuletzt kam der nächtliche Überfall auf ein anderes Lager und ich wurde von zwei Kameraden überholt. Das war so: Lehrer Becker erklärte die Aufgabe der Mutprobe. Wir mussten im Dunkeln einzeln zu einem in ein paar hundert Metern entfernten Zeltlager schleichen und sollten dort das Lager überfallen. Für das Anschleichen gab es Punkte, beim Kämpfen kamen weitere dazu und wer ein Pfand mitbrachte erhielt die Höchstzahl. Ich zog also los, kam dort wohlbehalten an und ein langer Kerl kam mir gerade entgegen und fragte mich kleinen Lauser, was ich wolle. Treuherzig sagte ich ihm, dass ich ihn laut Lehrer Becker überfallen solle. Da schickte er mich mit herzlichen Grüßen zurück. Während ich wegging, kam der Nächste. Es war Erich. Kaum kam er in die Nähe, ich hatte mich noch im Gebüsch versteckt, erschien der Lange wieder und ging gleich auf Erich los und brachte ihn in den Schwitzkasten, rief nach seinem Kameraden und der brachte einen Strick um Erich zu fesseln. Geistesgegenwärtig schnappte sich dieser das Seil und verschwand. Später kam noch Willibald B. Er kämpfte zwar, hatte aber kein Pfand und so bekam er die zweithöchste Punktzahl. Sieger dieser Lagerolympiade wurde Erich.
Ab 1967 wurden traditionell Pfingstradwanderungen unter anderem ins benachbarte Ausland durchgeführt. Hier war die Teilnehmerzahl auf maximal 12 Jungs begrenzt. Wer mitfahren durfte war mächtig stolz.
Nicht immer lief das alles so glatt. Christoph Leibfried berichtet von seinem beeindruckenden Erlebnis in Wien:
„Meine Erinnerungen an die Zeit bei den Singvögeln sind angenehm und begleiten mich bereits das komplette Leben. Aus der Zeit bei den Singvögeln habe ich viel gelernt. Zum Teil auch das Repertoire, aus welchem ich heute ab und an noch für mich selbst singe aber auch vom Zeltlager und den Pfingstfahrten kenne ich noch praktische Tipps. Bei den Pfingstfahrten durfte man mit, wenn man zwölf Jahre alt war. Ich war bei meiner ersten Fahrt erst elf Jahre alt und musste daher an einem Sonntag mit Herrn Becker und seinem Sohn Ulli Probefahren um zu testen, ob ich genug Kondition habe. Es ging von Bürgstadt nach Wertheim und auf der anderen Mainseite wieder zurück. Diese Pfingstfahrt führte uns nach Wien und da ich von der Stadt so begeistert war und überall stehen geblieben bin, habe ich die Gruppe verloren und verlief mich. Die Wiener Polizei hat mich dann an unserer Fahrtenkluft erkannt und mich in der Jugendherberge abgeliefert.„
Rudolf Elbert erzählt von einem Überfall auf das Zeltlager an der Linkenmühle 1970:
Ehemalige, aufgrund des Alters bereits ausgeschiedene „Singvögel“ hatten mit Kurt Becker vereinbart, dass an einem Abend ein Überfall auf das Zeltlager stattfinden sollte. Wenn der Lagerwimpel in die Hände der „Eindringlinge oder Räuber“ geriet, war das Lager erobert und musste somit aufgeben. Es galt also den Lagerwimpel zu verteidigen bzw. zu verstecken. Dazu mussten die Eindringlinge gehindert werden, überhaupt in das Lager zu kommen. Es war hierzu alles erlaubt, sogar Ringkämpfe, wie diese bei Jugendlichen so üblich waren, Streckverband mit Fesselungen und ähnliches. An diesem besagten Abend hatten sich ungefähr fünf Ehemalige verabredet diesen Überfall durchzuführen. Auch deren Freudinnen wollten nach Beendigung des Überfalls in das Lager nachzukommen. Als die Eindringlinge durch die Lagerwachen bemerkt wurden, wurde der Waldrand um das Lager mit Taschenlampen ausgeleuchtet, um die Eindringlinge daran zu hindern in das Lager zu kommen. Auch fand der oben beschriebene Lagerkampf statt. Anscheinend hatten die Freundinnen gedacht, dass sie in der Dunkelheit an einer anderen Stelle nun in das Lager kommen sollten. Etwas abseits vom Küchenzelt war eine sogenannte „Mauergrube“ (ein ausgehobenes Erdloch, ca. 3 x 3 m Größe mit Tiefe 0,50 m), in der alle Essensreste entsorgt wurden. An diesem Tag hatte es als Mittagessen Ravioli in Tomatensauce gegeben, deren Reste in der „Mauergrube“ entsorgt worden waren. In der Dunkelheit gerieten zwei der Freundinnen auf dem Weg ins Lager in diese „Mauergrube“. Durchaus modisch gekleidet, standen im Lichtkegel der Taschenlampen plötzlich zwei Damen mit Hotpants in den Ravioli mit Tomatensauce. Es entstand somit der Ausdruck “Hotpants in der Mauergrube“. Galant halfen wir den beiden Damen aus ihrer „Gefangenschaft“ und machten uns bei der Säuberungsaktion mit frischem Bachwasser nützlich. Anschließend saßen Lagermitglieder, die „Eindringlinge oder Räuber“ und deren fünf Freundinnen auf den Holzklötzen am Lagerfeuer und es wurde heftig über den Überfall diskutiert. Der Ausdruck “Hotpants in der Mauergrube“ ist bis heute in schöner Erinnerung geblieben.
Im Jahr 1989 schreibt Kurt Becker an einen Chorleiter und Komponisten aus Dortmund die folgenden Zeilen:
„Wir sind keine „Wiener“, keine „Regensburger“, keine „Windsbacher“, keine „Tölzer“, keine „Hymnusknaben“, wahrscheinlich auch keine „Dortmunder“ – die Reihe ließe sich noch weiterführen – sondern „Lausbuben aus der Provinz“ mit einem halbwegs „verrückten“ (sprich: idealistisch gesinnten), vielleicht nicht ganz zur Erwachsenheit ausgereiften Oberlausbub, der diese Chorarbeit gegründet und seit 35 Jahren tut…..“

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